Gottes Gnade verstehen
Auf das gute Erdreich gesät aber ist es bei dem, welcher das Wort hört und versteht; der bringt dann auch Frucht... (Matth. 13,23)
Die Hoffnung der Auferstehung
Die folgenden Gedanken sind teilweise von Siegfried Zimmer (siehe z.B. diesen Vortrag über die Auferstehung), vor allem aber von N.T. Wright inspiriert. Ich verweise auf zwei Bücher von N.T. Wright: "Surprised by Hope" und "The Day The Revolution Began" sowie eine kurze Filmserie zum ersten Buch und einen Vortrag zum zweiten Buch.
Unsterbliche Seelen und der Himmel
"Das Ziel der Verkündigung des Evangeliums ist, dass möglichst viele Seelen in den Himmel kommen." Mit der Vorstellung, die diesem Satz meist zugrunde liegt, ist einiges falsch, meine ich. Zuerst einmal verbindet man mit diesem Satz die Überzeugung, dass auch viele Menschen in die ewige Hölle kommen, was nirgends in der Bibel bezeugt wird. Zweitens das Konzept der unsterblichen Seele: Diese Idee stammt aus der griechischen Philosophie, nicht aus der Bibel. Ganz zu Beginn der Bibel steht schon:
"und er blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele." (1. Mose 2,7)
Hier muss man zwei Dinge beachten: Erstens wird die Seele mit dem Odem, also dem Atem, in Verbindung gebracht, und eben gerade nicht mit einer Seele, die dem Körper entschwindet und weiterlebt, wenn das Atmen aufgehört hat. Und zweitens steht: "also ward der Mensch eine Seele", das heisst der Mensch IST eine Seele, nicht: Der Mensch HAT eine Seele. In der Bibel wird der Mensch deshalb eine Seele und nicht nur ein Körper genannt, weil wir im Gegensatz zu toter Materie lebendige Bedürfniswesen sind.
Und was ist mit der Vorstellung, dass die Seele nach dem Tod "in den Himmel kommt"? Ich bezweifle nicht, dass ein Mensch, der ein Kind Gottes ist und "im Herrn" stirbt, auch nach dem Tod "bei Christus" ist (Phil. 1,23). Aber den Himmel sollte man sich nicht als einen Ort weit weg von der Erde vorstellen, sondern viel eher als eine uns unsichtbare Dimension, in welcher Gott gewissermassen seinen Regierungssitz hat. Häufig wird in den Evangelien vom "Reich Gottes" oder "Himmelreich" gesprochen, und manch ein Leser verknüpft damit automatisch die Vorstellung eines Himmels, in welchem sich körperlose Seelen befinden. Aber das ist in vielen Fällen eine Fehlvorstellung. Zum Beispiel lesen wir im "Vater-Unser":
"Dein Reich komme, Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel." (Matth. 6,10)
Die Verkündigung Jesu zielte also darauf ab, dass das Reich Gottes vom Himmel auf die Erde kommen sollte! Es geht eben gerade nicht darum, dass ein Mensch dieser bösen Welt und seinem minderwertigen Körper entkommen soll, damit der edlere Teil, die Seele, in den Himmel kommen kann. Sowieso kennt die Bibel überhaupt keine Verachtung des Körpers. Das führt uns direkt in den nächsten Abschnitt.
Leibliche Auferstehung
Das Entscheidende an der Auferstehung Jesu ist, dass es eine leibliche Auferstehung war. Auch wenn heute manch ein Theologe die Auferstehung irgendwie "geistlich" (im Gegensatz zu "leiblich") verstehen möchte, verpasst man damit gerade den wichtigsten Punkt. Denn die Auferstehung Jesu war ja der Beweis, dass der Tod besiegt war! Wenn die Auferstehung nur "geistlich" stattgefunden hat, und wenn man parallel dazu sowieso an eine unsterbliche Seele glaubt, inwiefern wurde der Tod dann überwunden? Das würde wenig Sinn ergeben.
An dieser Stelle muss man betonen, dass Jesus nach seiner Kreuzigung wirklich tot war. Das hat er selber gesagt:
"ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit" (Offb. 1,18)
In der Christenheit, die ja mehrheitlich an die Gottheit Jesu glaubt, ist die Idee tief verwurzelt, dass Jesus nach seinem Tod irgendwie weitergelebt hat, genau so wie die unsterbliche Seele eines jeden Menschen nach dem Tod weiterlebt. Aber das entspricht einfach nicht der schlichten Lesart des biblischen Berichts. Wenn ein Mensch stirbt, dann ist er tot. Und als Jesus starb, war er tot. Aber weil Gott ein Gott der Lebendigen ist (Luk. 20,38) und die Toten auferweckt, ist ein Mensch in Gottes Augen nie tot, sondern schläft nur. Das hat aber nichts mit einer unsterblichen Seele zu tun, sondern mit der Kraft Gottes. In unseren Augen war Jesus zwischen Karfreitag und Ostern tot, und ohne seine Auferweckung wäre der Tod nicht überwunden worden.
Es stimmt zwar, die Erscheinung Jesu nach seiner Auferstehung kam seinen Jüngern seltsam vor - er wurde von ihnen zum Teil nicht erkannt, verschwand plötzlich vor ihren Augen, und kam durch verschlossene Türen. Aber sie haben ihn berühren können, seine Wundmale gesehen, und er hat auch wirkliche Speise gegessen. Daraus kann man erkennen, dass die Auferweckung ein ganz neuer schöpferischer Akt Gottes ist.
An dieser Stelle ist noch eine Klärung notwendig. Die Begriffe "fleischlich" und "geistlich" bedeuten in der Bibel nicht "sichtbar" und "unsichtbar", sondern markieren den Unterschied zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen. Deshalb hat Jesus nach seiner Auferstehung sehr wohl einen (himmlischen) Leib, den man anfassen kann, aber gleichzeitig wird er "Geist, der da lebendig macht" genannt (1. Kor. 15,45). Und so kann er jetzt leiblich abwesend sein und zur Rechten Gottes sitzen, und gleichzeitig gilt, was er vor seiner Himmelfahrt gesagt hat: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage..." (Matth. 28,20).
Und nun kann man plötzlich auch verstehen, warum der Fokus der biblischen Zukunftshoffnung gar nicht "in den Himmel kommen" ist, sondern die leibliche Auferstehung bei der Wiederkunft Jesu Christi. Ein wichtiges Beispiel finden wir im ersten Brief des Paulus an die Thessalonicher. Paulus tröstet die Gläubigen mit folgenden Worten:
"Wir wollen euch aber, liebe Brüder, nicht verhalten von denen, die da schlafen, auf dass ihr nicht traurig seid wie die anderen, die keine Hoffnung haben... Denn er selbst, der Herr, wird mit einem Feldgeschrei und der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen vom Himmel, die Toten in Christo werden auferstehen zuerst..." (1. Thess. 4,13+16)
Erneuerung der Erde und christliche Moral
Die christliche Moral wird vielfach als ein willkürliches Sammelsurium von Regeln missverstanden. Tue das, tue das nicht... Aber tatsächlich ist die christliche Moral viel bedeutungsvoller. Schon ganz am Anfang heisst es:
"Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn... Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht." (1. Mose 1,27-28)
Es ist die Meinung einiger Bibelwissenschaftler, dass mit "Bild Gottes" folgendes gemeint ist: Der Mensch sollte über die Schöpfung herrschen und dabei einerseits die Güte Gottes in die Schöpfung widerspiegeln, und andererseits den Lobpreis der Schöpfung an Gott vermitteln. Das kann man sich wie ein 45 Grad geneigter Spiegel vorstellen: Wenn man waagrecht hineinschaut, sieht man senkrecht nach oben, wenn man senkrecht nach unten hineinschaut, dann sieht man waagrecht geradeaus.
Der Mensch hat diesen Auftrag, als Bild Gottes zu amtieren, nicht erfüllt. Stattdessen lesen wir im dritten Kapitel von 1. Mose vom Sündenfall. Aber Gott hat seinen Plan nicht aufgegeben: Der Mensch sollte Gottes Verwalter der Schöpfung sein. Und so machte Gott einen neuen Anfang mit seinem Sohn, dem Menschen Jesus Christus. Dieser ist nach seiner Auferstehung der Beginn einer ganz neuen Menschheit. Den Satz "Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt" (Ps. 2,7) muss man gemäss Apg. 13,33 auf die Auferweckung Jesu beziehen. Die Auferstehung wird auch als "Wiedergeburt" bezeichnet, siehe Matth. 19,28. Mit Jesu Auferweckung hat die endgültige Wiederherstellung der Schöpfung begonnen. Da sieht man plötzlich, wie abwegig die Vorstellung ist, im Christentum ginge es nur darum, "in den Himmel zu kommen". Nein, Gott hat verheissen, Erde und Himmel zu erneuern. Und das Himmelreich würde auf die Erde kommen. Und der Zweck, den Gott von Anfang an hatte, wird erfüllt werden: Der Mensch soll an Gottes Stelle die Schöpfung verwalten. Für Christen beginnt dieser Auftrag schon heute.
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